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Mein Spielbericht: VfL Osnabrück – Erzgebirge Aue 0:1 [Burkhard Tillner]

Dabei sein ist ein großes Privileg

Es ist mein Job als Reporter vor, während und nach den 90 Minuten über ein Spiel zu reden, ein echt toller Job. Mal erwischst du als Reporter ein spektakulär gutes Match, mal ein weniger gutes Spiel und selten auch eines wie VfL Osnabrück gegen Erzgebirge Aue.

Die Fahrt zur Bremer Brücke an Spieltagen ist seit Monaten komplett stressfrei. Die Fans im Stadion fehlen und mit ihnen auch ihre Autos auf den Straßen. Rund 2 Stunden vor dem Anpfiff schnappe ich mir mein technisches Equipment, 2 nicht ganz leichte Taschen, und rein geht es in das Stadion natürlich mit FFP2 Maske vor Mund und Nase.

Die Routine beginnt, die Routine, die sich ebenfalls seit Monaten verändert hat. Der Händedesinfektion folgt die Kontrolle meines:

Fragebogen für die Einlasskontrolle im Rahmen der Durchführung des Sonderspielbetriebs der Bundesliga und 2. Bundesliga.

Ich liebe die deutsche Sprache, und ich habe pflichtbewusst an den entsprechenden Stellen 4 Kreuze auf dem Formular ergänzt sowie mit Datum und Unterschrift versehen und damit bestätigt:  

  1. dass ich nicht jetzt und nicht in den zurückliegenden 14 Tagen unter typischen Symptomen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 gelitten habe
  2. dass mir kein aktuell positiver Nachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 vorliegt
  3. dass ich nach meiner Kenntnis in den letzten 14 Tagen keinen (ungeschützten (das steht da wirklich so)) Kontakt zu einer Person, die positiv auf den genannten Erreger getestet wurde oder unter Verdacht einer Infektion mit selbigem Erreger steht
  4. dass ich mich meiner Kenntnis nach nicht in den letzten 14 Tagen in einem vom Robert-Koch-Institut in dieser Zeit als ausländisches Risikogebiet eingestuften Terrains aufgehalten habe.

Gut das schon bei Übergabe des Fragebogens wieder menschlich freundliche Töne erklingen. Mit meiner frisch erhaltenen Akkreditierung, die haargenau vorgibt wo ich mich aufzuhalten habe geht es weiter zur Taschenkontrolle, die von einem freundlichen Plausch begleitet wird. Ich nehme auch nicht ein Anzeichen von Enttäuschung wahr, nachdem sich mal wieder keinerlei verbotene Utensilien in meinem Gepäck finden ließen.

Mein Reporterplatz befindet sich auf der Südtribüne, unmittelbar links neben mir das Kamerapodest, rechts von mir eine Loge, vor der sich der VfL Vorstand die 90 Minuten anschauen wird. Als ich meine Technik aufbaue, lässt sich Dirk Rasch dort sehen und wir unterhalten uns mit dem gebotenen Abstand kurz über den VfL, dann erhalte ich von Rene Kemna die Mannschaftsaufstellungen, dass werden meine einzigen Gespräche vor Ort bis weit nach Abpfiff im Stadion bleiben, denn ansonsten ist weit und breit niemand in der Nähe.

Los geht´s jetzt mit meinem Technikaufbau, Laptop und mein Audio- Übertragungsgerät schließe ich an die vorhandenen Leitungen an und baue über das Internet eine Verbindung zum NDR- Schaltraum auf, von dem das Signal von der Bremer Brücke an die weiteren Studios des NDR, MDR sowie des heute offensichtlich sehr interessierten RBB geschaltet wird. Es folgen die telefonischen Absprachen mit den einzelnen Redaktionen. Die Wünsche über die jeweils geplanten Abrufe habe ich ausgedruckt vor mir liegen, jetzt geht es um die Inhalte der Vorgespräche vor dem Anpfiff.  Meine Vorbereitungen, reichlich Infos über die Teams lege ich mir griffbereit neben den TV- Monitor, auf dem ich Zeitlupeneinstellungen während des Spiels von kniffligen Situationen erhalte, Prädikat besonders wertvoll.

In der Vorbereitung zu Hause habe ich für jeden einzelnen Spieler der Mannschaften einen Aufkleber präpariert, auf dem ich Anzahl der Saisonspiele, Alter, Größe, gelbe/rote Karten, Tore und Assists, letzter Verein sowie die ein oder andere zusätzliche Besonderheit des Akteurs schnell während meiner Reportagen überblicken kann. Anhand der Startaufstellungen generiere ich jetzt mit den Aufklebern die für mich wahrscheinliche taktische Aufstellung auf einem Extrablatt, mein wichtigster Zettel in den 90 Minuten.

Bis hierher lief alles nach Plan. Jetzt würde die Zeit beginnen, die ich vor Corona am meisten genossen habe. Man saugt die Atmosphäre im Stadion auf.

Und jetzt? Die aus den Lautsprechern dröhnende Musik könnte mit geschlossenen Augen noch im Ansatz das Gefühl erwecken einem bald beginnenden normalen Spiel beizuwohnen. Aber die sterile Atmosphäre eines fanbefreiten Stadions erstickt dieses Gefühl sofort. Sich bloß nicht als Reporter von dieser Aura runterziehen lassen lautet die letzte aber extrem wichtige Aufgabe vor Anpfiff.

Das Spiel zog einen genug herunter, jedenfalls aus VfL Sicht. Die Radikalkur von 6 neuen Spielern in der Startelf erwies sich als wirkungs- und sinnlos. Die VfL Mannschaft knüpfte erschreckend an die letzten 30 Minuten gegen Würzburg und das komplette Spiel beim HSV an. Aue agierte klug und konsequent und so reichte den Gästen ihre konzentrierte durchschnittliche Leistung zum hochverdienten Sieg. Die Szene zum entscheidenden 0 zu 1 war bezeichnend für das ganze Spiel. Ohne Druck darf Nazarow flanken, Torschütze Strauß ist gedanklich schneller als sein Gegenspieler. Über die ganze Spielzeit lief der VfL ideenlos und zu oft hilflos über den Rasen. Aue trat als Team, der VfL als eine Ansammlung von Einzelspielern auf. Trotz des knappen Spielstands erwischte ich mich nie dabei den Ausgleich ernsthaft zu erwarten.

Als Reporter ist es gut, dass man kaum Zeit hat sich zu ärgern, da der nächste Abruf ansteht und nach dem Spiel lassen einem die zu produzierenden zusammenfassenden Berichte aus Heim- und Gastsicht keine Zeit zum Aufregen.

Erst nach dem Zusammenpacken der Technik, nach dem Verlassen des Stadions auf dem Parkplatz, der so stimmungsvoll erscheint wie die Bremer Brücke zuvor während des Spiels beginnt der Rückblick auf die 90 Minuten zu nerven. Im Auto schnell noch standardmäßig die Redaktionen anrufen. Technisch war alles ok, so weit so gut. Das am anderen Telefon erst ein St- Pauli- dann ein Braunschweig- Fan lauert, zwei, denen meine Affinität zum VfL bestens bekannt ist, weckt meinen fast verschütteten aber grenzenlosen Optimismus. Es wird schon klappen. Ok, wie weiß ich in diesem Moment nicht im Ansatz, aber das wird sich schnell geben.

Für mich ist es ein gewaltiges Privileg in dieser Zeit in den Stadien sein zu dürfen, aber es fühlt sich ohne Fans weiter komplett falsch an.

Mein Spielbericht: Mach mit!

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